Liebe Europäerinnen,
liebe Europäer,
jedes Jahr dasselbe. Weihnachten steht vor der Tür, und wir werden rührselig.
Und dies vielfältig.
Viele rühren unverdrossen in gesüßter Mehlpampe, wobei oft daraus köstliche Kleinode für den Gaumen entstehen, deren Aroma nicht allein auf der Zunge verbleibt, sondern sich als Köstlichkeit des Lebens durchaus länger im nebligen Alltag des Winters zu bewähren weiß.
Andere speisen sich eher theophil vom Gedanken, dass vor gut 2.000 Jahren eine Person die menschliche Szene betrat, die jenseits der sinnlichen Köstlichkeiten des Lebens eine Labsal pries, die sich weit über die eigene Existenz erhob: die Mitmenschlichkeit – heute nennen wir das die Würde.
Und es gibt die Dritten. Das sind jene der Aufklärung. Sie wirken zunächst nüchtern, weil sie allein das Argument gelten lassen und erst lernen mussten, dass jedwedes Argument – falls nicht völlig rationalistisch oder empirisch untermauert – einer moralischen Untermauerung bedarf. Die Untermauerung haben sie sich ebenfalls argumentativ hergeleitet.
Und siehe da: erneut war es die Würde.
Alle Positionen sind unterschiedlich, aber nicht unversöhnlich.
Zugegeben: die erste Gruppe sucht zunächst den sinnlichen Kick, aber wie wir aus berufenem Munde wissen: Erst kommt das Fressen, dann die Moral; die anderen sind da direkter –schielen aber letztlich auch auf die Speiseplatte …
Zurück zur Moral. Oft wird in letzter Zeit beklagt, politische Debatten seien zu moralisierend. Ja, was denn sonst? Politik ist ein Wettbewerb, um moralische Werte umzusetzen. Und einer der höchsten Werte ist – man ahnt es – die Würde. In Deutschland haben wir das völlig interpretationsfrei als Dreh- und Angelpunkt in unserer Verfassung niedergelegt; ebenso tat dies die Europäische Union in ihrer Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Nun haben wir uns des moralischen Ankers versichert. Im weiteren gilt es, diese Werte auch umsetzen zu können.
Und jetzt wird klar, warum diese Weihnachtsgrüße (gedanklich) aus Europa kommen. Weil eine einzelne Nation in Europa dazu nicht in der Lage ist. Im Wettbewerb mit wirklich großen Mächten, wie den USA, China und evtl. demnächst Indien, die andere moralische Werte propagieren, kann nur eine Gemeinschaft vieler kleiner und mittlerer Staaten die Würde im politischen Handeln bewahren.
Wir verlieren dadurch auch keine Souveränität, wir bündeln sie, um sie weltpolitisch verteidigen zu können. Hinzu kommt, dass die Europäische Union keine technokratische Souveränitäts-Sammelstelle ist, sondern ebenso der demokratischen Kontrolle der Wählerinnen und Wähler unterliegt wie der Bundestag.
Wenn wir also zu Weihnachten an Werte der Menschlichkeit denken, dann sollten wir an die Stärkung der Europäischen Union denken, die unsere einzige Chance ist, diese Werte im globalen politischen Wettbewerb auch durchzusetzen.
In diesem Sinne wünscht der AK EUROPA allen ein erlesenes Weihnachtsfest nach eigener Façon, erholsame Feiertage und einen angenehmen sowie unterhaltsamen Jahreswechsel.
AK EUROPA
Thomas Gestrich