Es geht um zwei Bemerkungen vom Herbst 2005. Hintergrund war die Auftragsvergabe zur Neugestaltung des Konrad-Adenauer-Platzes vor dem Hauptbahnhof. Eine Aachener Architektin war nicht berücksichtigt worden, sie hatte daraufhin die Vergabekriterien kritisiert. Erwin konterte wenig charmant:
"Wer ihren Entwurf zum Bahnhofsvorplatz gesehen hat, der würde sich schütteln, wenn wir den realisiert hätten."
Joachim Erwin, Oberbürgermeister vor Journalisten
Die Architektin fühlte sich verunglimpft und strengte eine Unterlassungsklage vor dem Landgericht an – mit Erfolg. "Die Äußerungen sind bloße Schmähkritik und eine persönliche Diffamierung", hatte die Kammer damals begründet. Der Architektin werde dadurch jegliche Kompetenz abgestritten. Erwin wollte das nicht hinnehmen. Er pochte auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung und ging in Berufung. Vor dem OLG konnten sich die Parteien gestern einigen: Die Berufung gegen die erste Äußerung mit dem Begriff "Futterneid" zogen Erwins Anwälte zurück. Dagegen wertete der Senat die zweite Aussage (Wer ihren Entwurf gesehen hätte, der würde sich schütteln…") als zulässige Meinungsäußerung. Die Architektin zog in diesem Fall ihre Klage zurück.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich der Jurist mit seinen Äußerungen vor Gericht brachte. Fast schon legendär ist der Rechtsstreit mit Frank Laubenburg von der Linkspartei (damals PDS), über den Erwin im Mai 2003 vor Journalisten sagte:
Erwin vor Journalisten
Laubenburg zog vor das Landgericht – und bekam Recht. Die Richter urteilten, die Bemerkung sei herabsetzend und untersagten Erwin, sie zu wiederholen.
Dass sich Erwin bis heute nicht besser im Griff hat, zeigen aktuelle Beispiele. Eine besonders schlimme Entgleisung leistete er sich vor kurzem, als ihm Journalisten der WZ kritische Fragen zum Finanz-Chaos rund um Paketpost und Reisholzer Halle stellten. Erwin wollte sie nicht beantworten und beschimpfte stattdessen einen Redakteur:
Erwin zu einem Journalisten
Für diesen Vergleich mit Roland Freisler, Hitlers schlimmsten Richter, entschuldigte sich Erwin.
Von einer anderen Unflätigkeit wurde ebenfalls erst vor wenigen Tagen berichtet. Demnach soll eine Serviererin im Rathaus den Oberbürgermeister vor einer Pressekonferenz gefragt haben, ob er Kaffee haben wolle. Dessen Antwort soll – so schrieb es die NRZ unwidersprochen – folgende gewesen sein:
Erwin zu einer Rathaus-Serviererin
Immerhin, in seinen verbalen Fehltritten ist Erwin, der ansonsten hohe moralische Ansprüche vertritt, höchst demokratisch. Nicht nur die eigenen Mitarbeiter werden geschmäht, auch die Chefs großer Firmen bekommen ihr Fett weg. So wie der Bauunternehmer, der bei einem offiziellen Termin anmerkte, er hätte das neue Gebäude gern größer gebaut. Konter Erwin:
Erwin zum Chef eines Bauunternehmens
Wenig Fingerspitzengefühl zeigte Erwin auch, als er im Januar 2006 die Weigerung von Flughafen-Mitgesellschafter Hochtief kommentierte, den ehemaligen Airport-Chef Rainer Schwarz nach Berlin ziehen zu lassen:
Erwin über das Unternehmen Hochtief
Despektierliches bekamen auch die Krefelder Stadtwerke aufgetischt, nachdem sie im Dezember 2005 Interesse am Kauf von Anteilen an den Düsseldorfer Stadtwerken signalisiert hatten. Erwins Kommentar dazu wurde in der Nachbarstadt schlicht als Frechheit empfunden:
Erwin über die Krefelder Stadtwerke
Der Konzern ThyssenKrupp musste sich einen ähnlich ätzenden Vergleich gefallen lassen. Als das Unternehmen 2006 verkündete, seinen Sitz von Düsseldorf nach Essen zu verlegen, gab es von Erwin Saures mit auf den Weg: Thyssen Krupp sei…
Erwin über ThyssenKrupp
Auch den DFB hat der 58-jährige Jurist schon vergrätzt. Als er 2002 nach den Gründen gefragt wurde, weshalb Düsseldorf nicht zum Spielort der Fußball-WM ausgewählt wurde, deutete er indirekt an, der damalige DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder könnte bestechlich sein:
Erwin über den ehemaligen DFB-Boss Gerhard Mayer-Vorfelder
Eine Äußerung, die von vielen als übles Nachreden gewertet wurde. Der damalige CDU-Parteichef Wolfgang Schulhoff riet Erwin, "er sollte sich mehr und eher mit guten Leuten beraten". Ein Rat, der offenbar ungehört verhallte. So spekulierte Erwin im Februar 2006 am Rande einer Ratssitzung, ob sich SPD-Bürgermeisterin Gudrun Hock für die Abschaffung von Kindergartenbeiträgen stark mache, weil sie selbst noch Kinder bekommen wolle. Ihr Alter, 47, sei ja kein Hinderungsgrund, heutzutage wäre manches möglich. Nicht nur Hock empfand das als Geschmacklosigkeit.
Aber nicht nur die politischen Gegner, auch die eigenen Mitarbeiter demütigt Erwin eiskalt. So schob er laut einem Zeitungsbericht im Jahre 2002 seinen Arena-Beauftragten bei einem Fototermin unsanft aus dem Bild:
Erwin zu einem Mitarbeiter seines Büros
Noch weniger Stil hatte sein Zuruf zu einem hochrangigen Messe-Mann, der bei einer Gesprächsrunde mit Journalisten in Shanghai dem damaligen Chef des Presseamtes etwas ins Ohr flüsterte. Erwin fühlte sich dadurch gestört und grätschte verbal dazwischen:
Erwin zum damaligen Protokollchef der Messe
Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Dennoch ist Joachim Erwin mit sich im Reinen. Sein Credo postulierte er vor der Kommunalwahl 2004: "Nett sein allein reicht nicht."
Stilfragen II
Was Erwin einstecken muss
Der OB polarisiert – und wird oft selbst zur Zielscheibe.
Wer austeilt, muss auch einstecken können. Erwin muss viel einstecken – aber nur wenig davon nimmt er einfach hin. Oft zieht er vor Gericht und führt u.a. den Vorwurf der üblen Nachrede ins Feld. Schon bald wird wieder verhandelt: Am 30. Oktober geht es vor dem Amtsgericht um eine Aussage des ehemaligen Fortuna-Pressesprechers Wolfgang Stach (49). Vor anderthalb Jahren soll er in einem Internet-Forum zur Arena geschrieben haben, an der Spitze der Arena-Verwaltung stehe Joachim Erwin, "der die Bevölkerung belügt und betrügt". Die Staatsanwaltschaft forderte 1600 Euro Geldstrafe, die Richterin wollte das Verfahren gegen Zahlung von 1000 Euro einstellen. Die aber wollte Stach nicht zahlen, er könne seine Aussagen beweisen. Ob er es wirklich kann, wird sich Ende Oktober zeigen.
Ebenfalls vor Gericht fand sich ein 44-Jähriger wieder, der Erwin im Zusammenhang mit der Vergabe des Heine-Preises im Juni 2006 in einer E-Mail als "braune Natter im Pelz einer Schwarzdrossel" bezeichnet haben soll. Erwin erstattete Anzeige. Letztlich aber ließ sich nicht mehr beweisen, wer die Mail geschrieben hatte.
Fast schon legendär ist der Fall der Musikgruppe, die sich den Namen "J. Erwin Blues-Band" gab und den Anti-Stoiber-Song "Bleib da, wo der Radi wächst" zum Besten gab. Erwin fühlte sich durch den Namen der Band verunglimpft und erwirkte eine Einstweilige Verfügung. Die Musiker traten fortan als "J. Zensiert Blues-Band" auf.
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STRAFGESETZBUCH In Paragraf 185 des Strafgesetzbuches heißt es: "Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft."
RECHTLICHE SITUATION Insgesamt werden drei Formen der Ehrverletzung voneinander unterschieden:
1. gegenüber dem Verletzten
2. gegenüber einem Dritten
3. in Bezug auf einen Verstorbenen
Strafbar ist eine Äußerung nur, wenn sie ehrverletzend ist. Taktlosigkeiten allein sind noch nicht strafbar.
ERMESSENSSPIELRAUM Im Strafgesetzbuch ist nicht definiert, was genau eine Beleidigung ist. Je nachdem, in welchem Zusammenhang eine Äußerung fällt, kann schon ein vermeintlich harmloses Wort eine Ehrverletzung bedeuten. Die Staatsanwaltschaft hat daher auch einen großen Ermessensspielraum. Gibt es kein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung, werden die Anzeigenerstatter oft auf den Privatklageweg verwiesen.
WEITERE INFOS Wer sich genauer informieren will, kann sich im Internet schlau machen:
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Quelle: Westdeutsche Zeitung Düsseldorf